And if I devoted my life to one of its feathers?
Ein Prolog im öffentlichen Raum

1/6 2020 — 31/7 2020
Wien
Kurator*in Miguel A. López

Ein gemeinsames Projekt der Kunsthalle Wien und der Wiener Festwochen

Künstler*innen: Manuel Chavajay • Chto Delat • Inhabitants mit Margarida Mendes • Daniela Ortiz • Prabhakar Pachpute • Sophie Utikal

Ursprünglich für den Frühsommer 2020 geplant, ist die gemeinsame Ausstellung mit den Wiener Festwochen, And if I devoted my life to one of its feathers?, kuratiert von Miguel A. López, auf das kommende Jahr verschoben.

Eine Auswahl von Arbeiten für den öffentlichen Raum gibt einen ersten Vorgeschmack auf die Ausstellung: Ab 1. Juni 2020 sind künstlerische, eigens für dieses Projekt geschaffene, Statements von sechs Künstler*innen und -kollektiven – Manuel Chavajay, Chto Delat, Inhabitants mit Margarida Mendes, Daniela Ortiz, Prabhakar Pachpute und Sophie Utikal – auf 250 großformatigen Plakatflächen in der ganzen Stadt Wien verteilt zu sehen.

Dieser „Prolog im öffentlichen Raum“ versucht, einige der Stimmen und Themen der Schau in ein Medium zu übersetzen, das mit den Hindernissen und Umständen vereinbar ist, mit denen Kulturproduzent*innen in aller Welt dieser Tage umgehen müssen. Miguel A. López hat die Künstler*innen eingeladen, Arbeiten zu schaffen, die aus der Perspektive der je eigenen Erfahrungen, Sorgen, Geografien und politischen Gemeinschaften auf die Pandemie reflektieren. In jeder Arbeit kommt eine andere Sicht auf unsere gemeinsame Welt zum Ausdruck, in der die Coronavirus-Pandemie zwar alle, aber nicht alle gleichermaßen betrifft. Ganz im Geiste der ursprünglichen Ausstellung wollen diese Interventionen eine Auseinandersetzung über Selbstbestimmung sowie gesellschaftlichen und ökologischen Wandel anstoßen.

Mit freundlicher Unterstützung von EPAMEDIA

Manuel Chavajay
geb. 1982 in San Pedro La Laguna (Guatemala), lebt und arbeitet in San Pedro La Laguna
Tz’ikin, 2020

Der Künstler Manuel Chavajay, ein Angehöriger des Maya-Volks der Tz’utujil, stellt Tz’ikin dar, einen der zwanzig nahuales der mittelamerikanischen Kosmologie, in der sie als persönliche spirituelle Begleiter*innen und Schutzgeister der Menschen auftreten. Die Figur hält einen Goldbarren und steht so symbolisch für die Sicht des Westens auf die angestammten Gebiete der Maya: als Ort der Kapitalakkumulation durch Rohstoffextraktion – mittels der Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen. Das Wort „Ru k’ayewaal“ unter der Figur stammt aus dem Tz’utujil und kann mit „wegen einer aufgezwungenen Gewaltsituation in Not“ übersetzt werden.

Chto Delat
Kollektiv, gegründet 2003 in Petersburg
Eine Feder (visualisiert von Dmitry Vilensky), 2020

Der Beitrag des russischen Kollektivs Chto Delat bedient sich der Ästhetik sowjetischer Anti-Atomkriegs-Plakate aus den 1970ern, in denen ausgeschnittene Bilder zu einer Darstellung bedrohlicher Szenarien collagiert sind, die verheerende Umweltzerstörungen zeigen. Die Frage, die Chto Delats grafische Arbeit aufwirft – „Und wenn nun eine Feder vom Körper abfällt?“ – reformuliert spielerisch den Titel der Ausstellung und fordert uns auf, den Ursprung der Corona-Pandemie als „Schwarzen Schwan“ zu begreifen: ein unvorhersehbares und unerwartetes Ereignis, das schwerwiegende Folgen nach sich zieht. In der spekulativen Fiktion der Arbeit ist eine vernetzte und globalisierte Welt zum Spielball eines Nacktmeerschweinchens geworden, einer Abart des Meerschweinchens, die 1978 von Wissenschaftlern gezüchtet wurde.

Inhabitants mit Margarida Mendes
What Is Deep Sea Mining?, 2018–20

Inhabitants ist ein 2005 von den portugiesischen Künstler*innen Pedro Neves Marques und Mariana Silva gegründeter Onlinekanal für Videos und dokumentarische Arbeiten, die Themen rund um den Umweltschutz und das Anthropozän untersuchen. Das gezeigte Schaubild gehört zu einem größeren Forschungsprojekt zur Bergbauindustrie in der Tiefsee, die beginnt, die Weltmeere ihrer Profitgier zu unterwerfen. Es wirft ein Schlaglicht auf laufende Erkundungen im Rahmen geplanter Tiefseeminen, die sich über eine Fläche der Größe Europas erstrecken sollen. Die Verwüstung des Meeresbodens stellt nicht nur für Meeresflora und -fauna und ganze Ökosysteme, sondern auch für den weltweiten Kampf gegen Umweltungerechtigkeit und die nahende Klimakatastrophe eine akute Bedrohung dar.

Das Forschungsprojekt What Is Deep Sea Mining? ist eine Auftragsarbeit für TBA21–Academy.

Daniela Ortiz
geb. 1985 in Cusco (Peru), lebt und arbeitet in Barcelona
Papa, with P for Patriarchy, 2020

Diese Arbeit der antikolonialen Künstlerin und Aktivistin Daniela Ortiz bewirbt ein von Hand gezeichnetes Kinderbuch über einen Vater, der ein Held ist – aber ein Held des Patriarchats. Das Bild stellt die diversen Figuren in einer Geschichte vor, die den rechtlichen Mechanismen nachgeht, die hinter rassistischen und patriarchalen Übergriffen und Gewalt stecken. Ortiz zeigt auf, dass psychische Unterdrückung und die mit ihr verbundenen Formen wirtschaftlichen, seelischen, körperlichen und emotionalen Gefangenseins, wie insbesondere alleinerziehende Mütter sie erfahren, der gesellschaftlichen Isolation ähneln, die den Menschen wegen der Covid-19-Pandemie auferlegt wurde. Das Buch kann unter kunsthallewien.at/papapatriarchy kostenlos heruntergeladen werden.

Prabhakar Pachpute
geb. 1986 in Sasti (Indien), lebt und arbeitet in Pune (Indien)
A plight of hardship, 2020

Die Figur, die in Prabhakar Pachputes Zeichnung ihrer Wege geht, ist aus Körperteilen, persönlicher Habe und Putzzubehör zusammengesetzt und erinnert so an die Ikonografie diverser indischer Göttinnen, die mit Seuchen in Verbindung gebracht werden. So lenkt der Künstler die Aufmerksamkeit auf die Kehrseite des erlahmenden Alltagslebens in aller Welt und der landesweiten Ausgangssperren: Die schlecht bezahlten Arbeitskräfte, die mit ihren unverzichtbaren Tätigkeiten während der Pandemie den sprichwörtlichen Laden am Laufen halten, haben oft keinen Zugang zu Leistungen wie bezahltem Urlaub und einer Krankenversicherung. Die wandernde Figur lässt auch an Migrant*innen denken, die sonst nirgends hinkönnen, oder vielleicht an die derzeitige Massenflucht aus dicht bevölkerten Städten aufs Land. Unter den diversen Schichten, die die Figur sich übergezogen hat, wird eine als Gewalt erfahrene Rechtlosigkeit und insbesondere das Fehlen von Arbeitnehmer*innenrechten erkennbar.

Sophie Utikal
geb. 1987 in Tallahassee (Florida, USA), lebt und arbeitet in Berlin und Wien
What was, is gone, 2020

Sophie Utikals Textilarbeit geht den Gefühlen von Zugehörigkeit und Fremdsein in der Begegnung mit einer unbekannten Zukunft nach. Die Unterbrechung des Alltagslebens manifestiert sich in ihrer Arbeit als ein Klima der ständigen und konfliktträchtigen Aushandlung von Passivität. Die Anordnung der Figuren lässt an die erzwungene körperliche Distanz und den Verzicht auf Berührungen in zwischenmenschlichen Beziehungen denken, mit denen wir derzeit leben, und veranschaulicht so die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Gefühle und unser Verhalten.

  
 

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