Eröffnungsrede zur Ausstellung … von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden in der Kunsthalle Wien, anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 2020.
eins.
Ich will nie wieder eine starke Frau genannt werden.
Ich will nie wieder dahin ins Exil geschickt werden, wo die starken Frauen wohnen und wo niemand sich mehr um die Belange oder Bedürfnisse der starken Frauen bekümmern muß. Ich will nie wieder in dieser inneren Verbannung leben müssen, die die herrschende gesellschaftliche Kultur jenen Frauen abzwingt, die sich nicht mehr als Objekt der Verdinglichung bereithalten wollen.
Eine Verbannung ist das, die durch kleinste gesellschaftliche Handlungen und Bewegungen sich in jedem Augenblick triumphal der gewollten Ungleichheit vergewissert. Diese Verbannung wird für alle Geschlechter außerhalb der Hegemonie verhängt.
zwei.
Ich will nie wieder in jene kulturelle Vernachlässigung geboren werden, die sich um Erziehung und Bildung des jungen Mannes seit jeher besorgt und die junge Frau und alle anderen Geschlechter zwingt, sich erst dieser engen und freiheitsfeindlichen Erziehung und Bildung anzuverwandeln, um nicht von jeder möglichen Teilnahme am Gesellschaftlichen ausgeschlossen zu sein.
Mit der Teilnahme an dieser reaktionären Bildung wird die diskret selbstverständliche Unterdrückung des Mannes nachgestellt, in die er über seine Militarisierung in Schule, Sport und Wirtschaft hineingezwungen wird. Die so gebildete Person muß sich dann der da geltenden Sprachen bedienen, um sich verständlich machen zu können. Und. Die so gebildete Person wird nie Verständnis sprechen können.
Ich will nie wieder dazu gezwungen sein, mir die hegemoniale und damit reaktionäre Vorstellung von Revolution und Widerstand zu eigen machen zu müssen, um überhaupt beginnen zu können, einen eigenen Weg zu denken.
Ich will nie wieder erkennen müssen, daß jede meiner Errungenschaften an hegemonialen und damit reaktionären Maßstäben gemessen werden wird, daß aber gleichzeitig mein Geschlecht, wie jedes andere nicht hegemoniale Geschlecht in diesen Maßstäben gar nicht existiert und jede Anstrengung in diese Nichtexistenz hinein scheitern gelassen wird.
drei.
Ich will nie wieder lernen müssen, daß alles, was mich als Frau bestärkt hat, meine Verdinglichung betreibt und daß alles, was ich den Männern nachmache, die Verdinglichung meiner Weiblichkeit vollendet hat.
vier.
Ich will niemals mehr die Erfahrung machen, daß mein Streben zu einem Verantwortungssubjekt werden zu wollen, im Widerspruch von Person und Geschlecht in unserer Kultur verschwinden gemacht werden kann und, daß in der Logik dieser Unsichtbarkeit kein gesellschaftlicher Ort zu finden sein wird, an dem diese Errungenschaft allgemein sichtbar werden könnte.
fünf.
Ich möchte nie wieder erleben, daß es der Hegemonie gelingen kann, die Altersarmut von Frauen aufgrund lebenslänglicher Benachteiligung sorgfältig zu planen und ungestraft durchzusetzen.
sechs.
Ich will nicht mehr ertragen, mit jeder neuen Erkenntnis feststellen zu müssen, wie nachhaltig die Zurichtung durch Staat, Gesellschaft und Kultur mich durch mein Geschlecht gefesselt hält, so daß ich zwar von Freiheit weiß, aber Freiheit nie erleben werde.
sieben.
Ich will nicht zur Kenntnis nehmen müssen nur durch Anpassung an die verdinglichenden Wünsche der Hegemonie zumindest um Asyl in der herrschenden Gesellschaft ansuchen zu dürfen.
Ich werde immer beklagen, daß sich alles, ja das ganze Leben aufgrund der Weiblichkeit mit Nebensächlichkeit auflädt. Daß die strukturelle Verachtung in dieser Gesellschaft sich mir in steter diskreter Abwertung darstellt. Es ist der Wert des Lebens selbst, der so festgelegt, je über Qualität und Dauer des Lebens der Person entscheidet. Verachtung ist ein Mordinstrument.
acht.
Ich will nie wieder begreifen lernen müssen, wie die Täter der Shoa sich mit Hilfe der Gesellschaft in die Gesellschaft zurück verstecken hatten können. Und. Wie es so gelingen konnte, deren Taten und deren Ansichten als straflos akzeptabel festzulegen. Die fahrlässige Verstrickung von damals tritt heute als offen völkische Ideologie wieder auf.
Ich will nie wieder mitansehen müssen, wie schlimm es Opfern in Österreich geht. In Österreich werden die Täter mit standing ovations belohnt. Placido Domingo bei den Salzburger Festspielen. Otto Mühl im Burgtheater. Kurt Waldheim in jedem Restaurant, in dem er zum Abendessen auftauchte. Von den standing ovations der Täter in Clubs, Vereinen und bei anderen privaten Gelegenheiten können wir uns eine gute Vorstellung machen. Ein Klima der steten Retraumatisierung der Opfer soll so jeden Versuch ersticken, den Grundrechten der Person zur Geltung zu verhelfen. Der Applaus der Täter ist verschreckende Hetze der Opfer.
neun.
Ich will nie wieder hören oder lesen, daß eine Frau, die irgendetwas erreicht hat, sagt, sie habe die Quote ja nie gebraucht und für sie gelte diese ganze Sache mit dem Geschlecht einfach nicht. Geschlecht als soziale Konstruktion betrifft jede Person. Die Hegemonie macht sich ihre Männlichkeit sehr wohl zu nutze. Und. Eine soziale Konstruktion wird von allen anderen hergestellt. Es gibt keine Ausnahme davon. Es gibt nur die Kontingenz der Biographien, in denen das Geschlecht alles grundiert. Jede Person hat in der heute verschriebenen Selbstgemachtheit der Person die Pflicht, auf eine demokratische Geschlechterkonstruktion hin zu wirken. Das betrifft zunächst die Haltung zum eigenen Geschlecht und die Hinterfragung der eigenen Handlungen in Bezug auf eine demokratische Geschlechtergerechtigkeit. Für Frauen und alle anderen nicht hegemonialen Geschlechter bedeutet das auch, die auferlegten Einschränkungen der Prägung und der Anpassung aufgrund des Geschlechts sich selbst gegenüber offen zu legen und festzustellen, wie weit hegemoniale Ansprüche in der inneren Welt reproduziert werden. Auf dieser Arbeit an der eigenen Person beruhen alle Queerfeminismen, die in eine politische Philosophie des Verantwortungssubjekts führen. Ziel muß die demokratische Befreiung in die Grundrechte, und damit die Beendigung der staatlichen Verwaltung des Subjekts aufgrund der Geburt, und damit des Geschlechts durch die heutigen autoritären Demokratien, sein. Dem demokratischen Verantwortungssubjekt steht die Wahl von Namen, Geschlecht und Weltsicht zu.
zehn.
Ich will nie wieder erleben müssen, wie Frauen, denen keine Gewalt widerfahren ist, sich triumphal von den Frauen absetzen, die von Gewalt betroffen waren oder sind. Die sich unverletzt fühlenden Frauen betreiben in ihrem Triumph die Abwertung der anderen Frauen, indem sie diese als an ihrem Unglück selbst schuldige Opfer darstellen. Das erzwingt die Leugnung der Gewalt, um überleben zu können. Und. Der Selbstverantwortung der Frauen wird die Kontingenz abgesprochen. Die Leugnung der Kontingenz wiederum macht die philosophische Erfassung von Frauenleben unmöglich. Damit kann es nicht gelingen, ein politisches Bewußtsein als Geschlecht zu fassen. Der Elitenerhalt des Patriarchats als philosophisch erfaßbare Einheit ist so gesichert.
elf.
Ich will nie wieder verglichen werden.
Ich will, daß jeder Vergleich von Personen untereinander ausgesetzt wird. Vergleiche dienen nur der Ausbeutung von Rivalitäten. Die Schönheitsindustrie benutzt dieses Vergleichen zur totalen Vernutzung der Frauen von früh an. Es müßte erreicht werden, daß jede Person in ihren Grundrechten gesichert, ihr Leben gestalten kann, ohne durch Vergleiche des Selbstwerts beraubt zu werden. Oder beraubt werden zu können.
zwölf.
Ich habe mein Leben als Frau gelebt. Ich habe mich immer wieder dafür entschieden, als Frau zu leben und dieses Leben als Frau jener Nachgeordnetheit zu entreißen, die kulturell in dieser Gesellschaft und diesem Staat selbstverständlich ist. Ich hätte diese Entscheidung sehr gerne in einer anderen Offenheit und unter demokratischeren Bedingungen getroffen. Immer war es offenkundig, daß die Entscheidung, als Frau zu leben und den Verantwortungen und Pflichten davon nachzukommen, jene Nachteile auferlegt, die aus der kulturellen Nachgeordnetheit des Weiblichen in unserer Gesellschaft und diesem Staat herkommen. Immer noch und weiterhin. Das ist ein antidemokratischer Zustand einer Geschlechterkultur, die sich insgeheim immer noch auf die autokratische Hausvaternschaft der 150 Jahre Wirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs beruft und jeden Mann – und sei er noch so aufgeklärt – zum Kriegsgewinnler dieses Kulturellen macht und damit jede Änderung dieser Kultur als Verlust an Hegemonie für jeden Mann – und sei er noch so aufgeklärt – erscheinen läßt. Insgeheim und unbewußt so im Postbürgerlichen. Bewußt und antifeministisch im Rechtsradikalen des Postbürgerlichen. Unsere Staatsform der autoritären Demokratie ist auch dafür autoritär, diese Ungleichheit als Elitenerhalt beizubehalten. Aus der Arbeit an diesem Erhalt entspringen dann wiederum alle Formen identitärer Politik, die aus dem Autoritären des Insgeheimen in unserem Kulturellen, das Recht auf offene Dominanz der durch Geburt gegebenen Rechte ableiten konnten. Das steht im krassen Gegensatz zu den Grundrechten, die die Rechte der Person von der Geburt unabhängig definieren. In meiner gelebten Erfahrung in dieser Gesellschaft und diesem Staat bin ich einer Praxis der Grundrechte nie begegnet. Es sind außergesellschaftliche, private Räume in denen die Grundrechte hierzulande relevant genommen werden. Der Kampf. Der im 18. Jahrhundert begonnenen Befreiung vom Schicksal der Geburt. Dieser Kampf dauert weiter an. Weiterhin ist nicht gesichert, wie Frauen, der von ihnen geforderten Selbstfürsorge und Selbstvorsorge unter den weiterhin ungleichen Bedingungen nachkommen sollen. Der Sozialstaat wurde über Kindergelder in eine Institution der Superhausvaternschaft verwandelt, die jede Frau gezwungen sieht, den Staat zum Partner zu nehmen. Statt gleicher Verteilung der Ressourcen wird die garstige Phantasie des Staats als Vater aller Kinder Wirklichkeit. Eine Väterlichkeit ist das, die die totale Kontrolle des staatlich mitgezeugten Kinds in Benennung, Geschlecht, Religion, nationaler Zugehörigkeit und schulischer Erziehung durchsetzt. Die Daten der Geburt bestimmen die bürokratische Erfassung. Bestimmen wie gelebt werden muß.
dreizehn.
Ich will eine Revolution, die die Person in ihre demokratischen Grundrechte der Selbstbestimmung einsetzt und in der Neuverteilung der Ressourcen eine demokratische Kultur durchsetzt, in der Gesellschaftlichkeit in der Beachtung der Grundrechte hergestellt wird. Ich wünsche mir gesellschaftliche Kontrolle demokratisiert und nicht die reaktionären Stammesfehden von Männerbünden in Internetsilos, die als Wilde Jagd in die politische Realität einfallen. Ich wünsche mir die Befreiung der Person aus der bürokratischen Erfaßtheit des Überwachungs- und Sicherheitsstaats in die demokratischen Grundrechte radikaler Demokratie. Dem demokratischen Subjekt steht die vollständige Selbstbeschreibung als Emanzipation von dem reaktionär, in Kollektivschicksale bindenden Zufall der Geburt zu. Wenn Geburt kein Urteil über das gesamte noch zu lebende Leben mehr ist und Namen, Geschlecht und Weltsicht in die freie Entscheidung einer zur Selbstverantwortung befähigten Person fällt, dann wird Freiheit die Schönheit einer Person ausmachen und das Überleben der Welt als einziges, alles einschließendes Zeichen selbstverständlich gesichert sein.
Marlene Streeruwitz, geboren in Baden bei Wien (Niederösterreich). Studium der Slavistik und Kunstgeschichte. Freiberufliche Autorin und Regisseurin. Literarische Veröffentlichungen ab 1986. Lebt in Wien, London und New York.