No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection
Eine Kooperation mit dem Museum für Zeitgenössische Kunst (MoCA) Skopje, Nordmazedonien
Künstler*innen: Brook Andrew • Yane Calovski & Hristina Ivanoska • Siniša Ilić • Iman Issa • Gülsün Karamustafa • Barbi Marković • Elfie Semotan
Mit Künstler*innen der Sammlung wie: Pierre Alechinsky • Getulio Alviani • Dimitar Avramovski Pandilov • Enrico Baj • Georg Baselitz • Anna-Eva Bergman • Maria Bonomi • Alberto Burri • Zofia Butrymowicz • Alexander Calder • Luis Camnitzer • Christo and Jeanne-Claude • Bronisław Chromy • Peter Clarke • Božidar Damjanovski • Josip Demirović Devj • Josip Diminić • Slobodan Filovski • Michel Gérard • Ion Grigorescu • Sheila Hicks • David Hockney • Alfred Hrdlicka • Bogoljub Ivković • Olga Jančić • Olga Jevrić • Jasper Johns • Alex Katz • Zoltán Kemény • Rudolf Krivoš • Boško Kućanski • Wifredo Lam • Sol LeWitt • Oto Logo • Petar Lubarda • Nikola Martinoski • Roberto Matta • Zoran Mušič • Meret Oppenheim • Olga Peczenko-Srzednicka • Dushan Perchinkov • Pablo Picasso • Bogoja Popovski • Joan Rabascall • Vjenceslav Richter • Bridget Riley • Ivan Sabolić • Niki de Saint Phalle • Francesco Somaini • François Stahly • Henryk Stażewski • Gligor Stefanov • Kumi Sugai • Aneta Svetieva • Beáta Széchy • Dimo Todorovski • Victor Vasarely • Vladimir Veličković • Тоmо Vladimirski • Marjan Vojska
Brook Andrew
Der Künstler und Kurator Brook Andrew (geboren 1970, lebt und arbeitet in Melbourne) widersetzt sich hegemonialen Machtstrukturen und den von ihnen erzwungenen Beschränkungen, um Raum für Indigene Daseins- und Wissenssysteme zu schaffen. Die von seiner Wiradjuri und keltischen Abstammung geprägte Forschungsarbeit und künstlerische Praxis zielen darauf ab, Formen der Verwandtschaft zwischen nicht-westlichen und westlichen Kulturen aufzubauen, denen eine intersektionale Auffassung von Indigenität gemein ist.
Häufig besteht Andrews Arbeit aus Eingriffen in museale Displays und einer Neuinterpretation der Wirkmächtigkeit von Sammlungsobjekten. Hierbei spürt der Künstler Verbindungen zum Kolonialismus, zu kultureller Enteignung und Gewalt auf und stellt ihnen Indigene Praktiken entgegen, deren antikoloniale Kraft in der Lage ist, westliche Vorstellungen von Fortschritt und Linearität sowie den kunsthistorischen Kanon und die ihn untermauernden Institutionen in Frage zu stellen.
In Brook Andrews Installation sind acht Werke aus der Sammlung des MoCA Skopje auf einem großformatigen, auffallend gemusterten aufblasbaren Objekt sowie einer Wandmalerei angeordnet. Das Muster ist von den Schnitztechniken der Wiradjuri inspiriert, wie sie etwa auf lebenden Bäumen und bei der Herstellung von Schilden zur Anwendung kommen. Ähnlich einer optischen Illusion ist das Muster spielerisch, es verweist aber auch auf unterschwellige Wahrheiten, wie etwa die vielen Identitätsverschiebungen, die nicht nur die modernistischen Arbeiten der Sammlung – westliche ebenso wie nicht-westliche – durchlaufen haben, sondern auch die Stadt Skopje selbst. Im sorgfältigen Arrangement der acht Sammlungswerke ist jenes von Pablo Picasso ganz oben platziert. Die Werke stammen aus den Jahren 1963 bis 1968, also aus der Zeit des verheerenden Erdbebens und des Wiederaufbaus in Skopje. Hier handelt es sich um eine Zeitperiode, in der diese Arbeiten Teil eines ganz bestimmten Wertesystems waren, das vor allem westliche männliche Künstler begünstigte – eben jene Künstler, die sich häufig nicht-westliche Kunstwerke und Designs aneigneten. Diese Idee kommt auch im Titel der Installation zum Ausdruck: mulunma wiling mangi gudhi. Diese Wörter aus der Wiradjuri-Sprache bedeuten übersetzt so viel wie „in der Lippe eines gestohlenen Liedes“ und verweisen auf den schmalen Grat zwischen Aneignung und Diebstahl.
Brook Andrews aufblasbare Strukturen machen sich die Methoden der Vergrößerung zunutze, um Geschichte zu rekontextualisieren und oft übersehene Themen überlebensgroß erscheinen zu lassen. Die Installation versöhnt auf räumlicher Ebene die zahlreichen Widersprüche im aufgeladenen modernistischen Diskurs, der der Gründung der Solidarity Collection des MoCA Skopje zugrunde lag. Sie zelebriert Räume, in denen solche Momente der Solidarität entstehen konnten, verdeutlicht aber auch ihre problematischen Aspekte und Nachwirkungen.
Interview mit Brook Andrew
1. Welchen Eindruck hattest du von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandest du an der Sammlung interessant?
Skopje ist ein Ort der Gegensätze und der Schönheit. Die Stadt ist inspirierend – von den sichtbaren Folgen des Erdbebens, dem Gebetsruf und den Gesängen, die ich in der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche im Erzbistum Ohrid erlebt habe, bis zur Warmherzigkeit der Menschen und zum eindrucksvollen Entwurf des MoCA Skopje. Ich habe es wirklich genossen, durch die Stadt zu streifen und die Vielfalt der Kulturen und Sprachen zu erkunden. Die Sammlung des Museums ist in vieler Hinsicht überwältigend – von der Geschichte der Sammlung bis zu der Art und Weise, wie diese Geschichte ihre Präsentationen beeinflusst hat. Es ist wichtig, dass die Sammlung ausgestellt wird und dass sie auch gezeigt wird, um einem breiten, an Kunst und Kultur interessierten Publikum in Skopje und aller Welt die lokalen Herangehens- und Ausdrucksweisen zu vermitteln.
2. Wie schaffst du eine Beziehung zwischen den Werken, die du aus der Sammlung ausgewählt hast, und deiner eigenen künstlerischen Praxis?
Die Werke haben keinen besonders engen Bezug zu meiner eigenen Praxis, auch wenn sie ausgesucht wurden, um eine Chronik der Hegemonie und des konstruierten Blicks auf das herzustellen, was damals populäre Kunstwerke und -richtungen waren und eine europäisch-amerikanische, vorwiegend männliche Kunstwelt widerspiegelte. Ich werfe ein Licht auf die Großzügigkeit der Künstler*innen, aber auch darauf, wie diese Großzügigkeit heute präsentiert wird. Es ist wichtig, dieses Ringen zwischen den Künstler*innen des ehemaligen Jugoslawiens und den europäisch-amerikanischen Künstler*innen aufzuzeigen, das ich in meiner Arbeit hervorgehoben habe. Der Titel meiner Arbeit, mulunma wiling mangi gudhi (inside the lip of a stolen song) [In der Lippe eines gestohlenen Liedes], versucht, diese komplexen Beziehungen zu unterstreichen. Der Titel ist in Wiradjuri, der Indigenen Sprache meiner Mutter aus Wiradjuri Country in Australien. Mein Indigenes Erbe hat immer Gemeinsamkeiten, Solidaritäten und komplexe Verbindungen mit ausländischen Orten gefunden.
3. Wie siehst du die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkst du, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Solidarität ist für mich ein in vielerlei Hinsicht zersplittertes, personen-, community- oder verwandtschaftsspezifisches Bündnis. Ich glaube nicht, dass sie etwas Starres ist – sie verlagert und verändert sich, und wenn sie nicht formbar ist, wird sie zerbrechen, und dann werden Dinge und Menschen und die Solidarität kollabieren. Darum betone ich die komplexe Situation der internationalen Künstler*innen, die bedeutende Werke stiften, zugleich aber auch Teil des Problems der Kunstwelt sind. Aus Indigener Sicht versuchen wir immer noch, unsere eigenen Werte wie Solidarität einzubringen oder sie wenigstens in einem internationalen Kontext zu teilen. Dieses Projekt war inspirierend und erforderte ein sorgfältiges Nachdenken, weil es viele Balanceakte der Solidarität vollführt.
Yane Calovski & Hristina Ivanoska
Neben ihren Einzelprojekten arbeiten die Künstler*innen Yane Calovski (geboren 1973, lebt und arbeitet in Skopje und Berlin) und Hristina Ivanoska (geboren 1974, lebt und arbeitet in Skopje und Berlin) seit 2000 auch als Duo zusammen. Ihre gemeinsamen Arbeiten zeichnen sich durch den dynamischen Einsatz verschiedener Medien aus – von Performance, Installation, Text und Theorie bis hin zu Zeichnung, Skulptur und Wandgravur. In ihrer Praxis streben sie danach, übersehene Aspekte der Geschichte zu beleuchten, sei es durch das Ergründen vergangener Ereignisse oder durch das Nachstellen imaginärer Geschichte in der Gegenwart. Stets spielt das lokale Umfeld der Künstler*innen eine wichtige Rolle – auch im Versuch, ihren eigenen Arbeitsraum in einen neuen Kontext zu stellen und alternative Interpretationen und parallele Lesarten etablierter Glaubensvorstellungen anzuregen. Die eher als Fragen denn als Antworten strukturierten Projekte ermöglichen es den Betrachtenden, die Bedeutungen der Werke selbst mitzugestalten.
In ihrer Rauminstallation mit dem Titel All Things Flowing [Alle Dinge fließen] schlagen die Künstler*innen eine andere Sichtweise auf die Geschichte des MoCA Skopje vor. Im Jahr 1966 wurden 89 Architekturentwürfe für den Bau des neuen Museums eingereicht. Unter ihnen stach ein Projekt besonders hervor – jenes des polnischen Architekten Oskar Hansen, der für seine Theorie der „Offenen Form“ bekannt war.
Der Architekt konzipierte einen wandelbaren Ausstellungsraum, der vollständig zusammenfaltbar war und sich in verschiedenen Kombinationen entfalten konnte – mit sechseckigen Elementen, die von hydraulisch betriebenen, rotierenden Teleskopen angehoben werden. Oskar Hansen stellte sich vor, dass die ansonsten unterirdisch verborgene Galerie bei jeder Eröffnung einer neuen Ausstellung in die Höhe emporsteigen und sich dabei auffalten würde.
Dieser ehrgeizige Vorschlag bildete die Vorlage für die motorisierte skulpturale Installation von Yane Calovski und das großformatige Wandbild von Hristina Ivanoska, das aus einer eigens entworfenen Typografie besteht. Die Buchstaben beziehen sich auf die „Offene Form“ und stehen im Dialog mit den Werken zweier mazedonischer Künstler*innen aus der Sammlung des MoCA Skopje: dem Maler Dushan Perchinkov und der Bildhauerin Aneta Svetieva.
Die beiden ausgewählten Künstler*innen scheinen auf den ersten Blick nicht recht zusammenzupassen. Doch beide bringen in ihren Arbeiten auf treffende Weise die Koexistenz lokaler künstlerischer Praktiken von den Anfängen des Museums bis heute auf den Punkt: Während sich Dushan Perchinkovs Bilder auf eine früh-modernistische Tradition abstrakter geometrischer Muster berufen, die außerhalb des westlichen Kanons der modernen Kunst stehen, vermitteln Aneta Svetievas roh belassene und ausdrucksstarke Terrakotta-Skulpturen ein fast anthropologisches Verständnis der Geschichte Skopjes.
Die Elemente der Installation rekonstruieren in ihrer Gesamtheit eine Landschaft, die immer wieder aufs Neue zerstört und wiedergeboren wurde. Durch die Kombination von Oskar Hansens Vision des Museums mit den beiden mazedonischen Künstler*innen aus der Sammlung entwerfen Yane Calovski und Hristina Ivanoska ein neues Narrativ der lokalen Kunstgeschichte – eines, das sowohl einen anderen Blick auf die Geschichte des Museums erlaubt als auch eine Gegenwart voller Potenziale in den Raum stellt.
Interview mit Yane Calovski & Hristina Ivanoska
1. Welchen Eindruck hattet ihr von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandet ihr an der Sammlung interessant?
Hristina Ivanoska: Skopje wurde auf tektonischen Platten errichtet und ist nie stabil, beständig oder friedlich. Die Mischung der Kulturen, Geschichten und Diskurse, die andauernd mit sich und untereinander rivalisieren, ist auf ihrer Oberfläche sichtbar und erzeugt ständige Spannungen. Als ich an der Fakultät für bildende Kunst an der Universität St. Kyrill und Method in Skopje studierte, hatte die Sammlung des Museums keinen großen Einfluss auf die Anfänge meiner künstlerischen Entwicklung. Damals war das MoCA Skopje noch von einer elitären Aura umgeben; man musste es „verdienen“, Zugang zu diesem Raum zu bekommen. Heute erlebe ich das Museum als einen demokratischeren Raum. Ich hatte zum ersten Mal Gelegenheit, mich mit der Sammlung zu beschäftigen, und die Möglichkeit, das Depot des Museums zu besichtigen und die Werke aus der Nähe mit einer anderen Unmittelbarkeit und Intimität zu erleben.
Yane Calovski: Für mich stellt die Stadt Skopje ein sich stetig wandelndes Gebilde dar, das von den Machthabenden oft für politische und wirtschaftliche Zwecke missbraucht und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bürger*innen falsch diagnostiziert wird. Trotzdem ist Skopje resilient, entwickelt sich ständig weiter und überdenkt sein Potenzial immer wieder auf überraschende Weise. Für mich war die Sammlung des MoCA Skopje immer ein aktiver, forschender Organismus, der seit seiner Gründung nach dem verheerenden Erdbeben 1963 auf beunruhigende Weise wuchs und sich entwickelte.
2. Wie schafft ihr eine Beziehung zwischen den Werken, die ihr aus der Sammlung ausgewählt habt, und eurer eigenen künstlerischen Praxis?
Yane Calovski: Wir haben aus der umfangreichen Sammlung Arbeiten von zwei noch aktiven nordmazedonischen Künstler*innen, Aneta Svetieva und Dushan Perchinkov, ausgesucht. Beide beschäftigen sich damit, die wesentliche, persönliche Bedeutung von Tradition und Moderne wiederzuentdecken. Üblicherweise untersuche ich in meinen skulpturalen Arbeiten die diskursiven Spuren von Konzepten, indem ich mit rhizomatischen Überlagerungen spiele und Überreste aufgreife, in denen sich flüchtige Gedanken zu konkreten Themen materialisieren. Während der Recherchephase am MoCA Skopje haben wir die vorliegenden Publikationen, Ausstellungskataloge, Videointerviews und schriftliche Interviews sowie Rezensionen gelesen und analysiert.
Hristina Ivanoska: Ich fand Svetievas und Perchinkovs Kunstwerke immer erstaunlich, aber ich hatte den Eindruck, dass sie in ihrem lokalen Kontext „gefangen“ blieben. Dieses Projekt bietet eine Gelegenheit, ihre Werke aus dem Depot zu holen, sie zu kontextualisieren und mit verschiedenen Publikumsgruppen zu teilen. Beide sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich – Perchinkov ist streng geometrisch und seine Herangehensweise ist analytisch, Svetieva ist impulsiv, schnell und ungeschliffen –, aber beide verbindet eine poetische Zärtlichkeit gegenüber der Landschaft, in der sie aufgewachsen sind und in der eine ursprüngliche Kultur und die Zivilisation in einer Symbiose von Widersprüchen koexistieren. Diese Dualität von Gegensätzen ist etwas, das ich auch in meinem eigenen
Werk sehe.
3. Wie seht ihr die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkt ihr, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Hristina Ivanoska: In den 1960er-Jahren, als der Aufruf gestartet wurde, eine auf Solidarität beruhende Sammlung aufzubauen, nahmen die Spannungen zwischen den beiden Blöcken ab. Damals wurde es möglich, sich eine Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen vorzustellen. Heute sind Institutionen allerdings wählerisch und vorsichtig und stehen unter einem enormen Druck; ich halte die Sammlung daher immer noch für eine kollektive Errungenschaft, die bis heute nachwirkt.
Yane Calovski: Das Konzept der Solidarität ist politisch und progressiv. Es wurde allerdings oft kommerzialisiert und benutzt, um die realen Probleme zu verschleiern, denen die heutige, westlich orientierte Kunstwelt gegenübersteht. Was die Repräsentation, die Verteilung von Wohlstand und die Manifestation von Wissen angeht, gab es immer schon ein erhebliches Machtgefälle, und das wird auch so bleiben. Es lässt sich behaupten, dass die Sammlung in dieser besonderen Phase des verstärkten soziokulturellen, politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Stadt nach dem Erdbeben ein bedeutendes Instrument dieses „Wiederaufbaus“ war und immer noch ist. Sie hat in dieser Hinsicht eine historische und kulturelle Bedeutung – sie ist ein historisches Erbe, das politisch wirksam wird, wenn es als Ausdruck seiner Zeit betrachtet wird. Heute können wir eine solche Welle der Solidarität in Form von Schenkungen realer Kunstwerke nicht mehr erwarten; aber für uns als Künstler*innen ist es trotzdem unglaublich zu sehen, welche gesellschaftliche Bedeutung es hat, einen Beitrag zu leisten, Kunst zu schenken und zu archivieren und unsere Praktiken mithilfe der Mechanismen institutioneller Sammlungen zu teilen. Das Museum für Zeitgenössische Kunst in Skopje ist für dieses kameradschaftliche Denken immer noch eine Inspiration.
Siniša Ilić
Siniša Ilić (geboren 1977, lebt und arbeitet in Belgrad) ist ein bildender Künstler, der Arbeiten auf Papier mit Installation, Video und Performance verknüpft. Sein Werk dreht sich um verschiedene gesellschaftliche Konfliktbereiche, sei es in Bezug auf Nachhaltigkeit, kulturelles Erbe, Arbeitsbedingungen oder Migration, sowie um die Möglichkeiten, freundschaftliche Allianzen und Solidarität aufzubauen. Der Künstler nähert sich diesen Themen vielfach aus einer historischen Perspektive, wobei er das Verhältnis zwischen dem Globalen Süden und Norden, insbesondere im Hinblick auf gewalttätige Auseinandersetzungen, hinterfragt. Ein Hauptaugenmerk in Siniša Ilićs Arbeiten gilt dem ehemaligen Jugoslawien, sowohl hinsichtlich seiner historischen Bedeutung als auch heutiger Konnotationen. Dabei versucht er zu ergründen, weshalb die Vergangenheit oftmals Wege findet, durch die Risse der Geschichte zu sickern, und welche Möglichkeiten es gäbe, sie mit der Gegenwart zu versöhnen.
In seiner Rauminstallation mit dem Titel Filigran schlägt Siniša Ilić eine neue Lesart der Stadt Skopje vor. Seine Arbeit verbindet acht abstrakte skulpturale Objekte aus der Sammlung des MoCA Skopje mit eigenen Zeichnungen, Collagen und Bewegtbildmaterial, die er auf unterschiedlich hohen Podesten platziert. In dieser Szenografie wird dem Publikum ein ungewöhnlich nahes Erleben der Kunstwerke ermöglicht, da die Betrachtenden eingeladen sind, mit dem Raum zu interagieren und in nächster Nähe der Arbeiten Platz zu nehmen.
Die unregelmäßige Podestlandschaft spiegelt die Topografie der Stadt Skopje und die verschiedenen Blickwinkel wider, von denen aus wir über die Geschichte der Stadt und ihr außergewöhnliches Mäandern zwischen Erdbebenverwüstung und Modernität nachdenken können. Besonders hervorgehoben wird dies durch Dimo Todorovskis Skulptur Mother and Child – Skopje Tragedy [Mutter und Kind – Skopje Tragödie] (1963), die als einziges figuratives Werk in der Auswahl die drastischen Folgen des Erdbebens unmittelbar vor Augen führt.
Die zeitgenössischen Werke von Siniša Ilić beschreiben hingegen die völlig veränderte Gegenwart Skopjes – Choreografien von Bau und Abriss sowie das Wiederverwerten von Materialien, aber auch gegenwärtige Arbeitsbedingungen. Eine der Zeichnungen, die der Künstler aus dem Gedächtnis angefertigt hat, zeigt ein Fast-Food-Restaurant in Skopje. Sie lenkt unseren Blick auf eine Gemengelage von Wirtschaftskrise und Lethargie, die von einem anderen, eher symbolischen Erdbeben erzählt.
Die Arbeit Filigran – deren Titel sich auf eine Technik bezieht, bei der Gold- oder Silberdraht zu zarten Ornamenten verarbeitet wird – erinnert daran, auf welch filigrane Weise die Fäden von Geschichte und Gegenwart miteinander verbunden sind und ein komplex gewebtes Muster bilden, das das Trauma der Vergangenheit und seine Resonanz im Heute sichtbar macht.
Interview mit Siniša Ilić
1. Welchen Eindruck hattest du von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandest du an der Sammlung interessant?
Die Schichten. Die Sammlung wirkt wie eine Konstruktion, die sich im Lauf der Zeit immer wieder neu formt. Man hat das Gefühl, dass sie sich selbst „kuratiert“, weil sie auf Spenden und Schenkungen beruht; dadurch bleiben ihre Ökonomie und ihr Rhythmus öffentlich – sie gehört gleichzeitig den Institutionen, den Stifter*innen, den Publikumsgruppen und anderen. Das ist spannend, und es ähnelt dem Eindruck, den ich von Skopje habe: eine Oberfläche mit vielen Kratern, Ausbrüchen und Strängen, die eine zerbrechliche Landschaft bilden.
2. Wie schaffst du eine Beziehung zwischen den Werken, die du aus der Sammlung ausgewählt hast, und deiner eigenen künstlerischen Praxis?
Filigran zeigt Skulpturen aus der Sammlung, die von abstrakten bis zu figurativen Formen reichen. Die Skulpturen verhalten sich komplementär zu meinen Arbeiten auf Papier und auf Bildschirmen. Ich wollte die Spannungen zwischen den Schichten und Geschichten inszenieren, die durch diese Sammlung, den gegenwärtigen Zeitpunkt, die künstlerischen Formen und das Erdbeben erzeugt werden. Anstatt nur einem einzigen Handlungsstrang oder Statement nachzugehen, deute ich einen Zickzackkurs durch Filigran an und schlage eine Koexistenz mit der Kunst vor.
3. Wie siehst du die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkst du, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Ich glaube, dass dies passieren kann und dass es die ganze Zeit stattfindet. Die Sichtbarkeit von Solidarität und ihre Wirkung hängen von der Größenordnung einer gesellschaftlichen Krise ab. Die Verteilung von Vermögen und von Informationen fühlt sich wie ein Hindernis an, das uns daran erinnert, dass wir nie in derselben sozialen, klassenspezifischen oder privaten Position sind; deshalb haben unsere Reaktionen eine unterschiedliche Resonanz, was dazu führen kann, dass wir frustriert sind und uns schlecht oder ohnmächtig fühlen. Wenn wir in diesem Kontext Solidarität als eine Geste gegen die Armut oder den Mangel oder das Unglück verstehen, können wir als Künstler*innen oder als Menschen, die im kulturellen Feld aktiv sind, versuchen, unser Wissen, unsere Fähigkeiten oder unsere Vorstellungskraft mit anderen zu teilen.
Iman Issa
Iman Issas Praxis zeichnet sich durch einen scharfen Blick auf die Macht des Displays im Bezug auf kulturelle und akademische Institutionen aus. Während sie (geboren 1979, lebt und arbeitet in Wien und Berlin) häufig experimentell an ihre Arbeit herangeht und die Betrachtenden auffordert, ihre eigenen Erfahrungen und Erwartungen in das Projekt einzubringen, legt die Künstlerin Wert auf eine präzise und klare Bildsprache. Sie übersetzt ihr Interesse an Geschichte, Museen und Sammlungen in eine Methode, mit der es möglich wird, vorgefasste Meinungen hinsichtlich unseres Wissens und historischer Transparenz oder Genauigkeit zu destabilisieren. Ihre in neuen Kontexten und Kombinationen situierten Objekt-Text-Paarungen bieten alternative Erzählweisen und Vorstellungen von dem, was wir zu wissen glauben. Ob es nun um die Rolle von Kunsttexten wie in ihrer Serie Lexicon [Lexikon] (2012–2019) oder das Verhältnis zwischen Künstler*in und Werk in Proxies, with a Life of Their Own [Stellvertreter*innen und ihr Eigenleben] (2019–) geht – Iman Issas Arbeiten sind stets nuancierte Betrachtungen von Bedeutungen, die sich unter der Oberfläche des Sichtbaren verbergen.
In ihrem Beitrag mit dem Titel I, the Artwork [Ich, das Kunstwerk] kombiniert Iman Issa ihre eigenen Arbeiten mit acht Kunstwerken aus der Sammlung des MoCA Skopje. Der gemeinsame Nenner in dieser Zusammenstellung aus Skulpturen und Druckgrafiken besteht darin, dass es sich durchwegs um Figuren handelt, deren Gesichter mehrheitlich nicht zu sehen sind.
Die Auswahl wirft die Frage auf, ob die Künstler*in hinter dem Werk zurücktreten und ein Kunstwerk seinen eigenen institutionellen und künstlerischen Kontext bestimmen kann. Sorgfältig ausgewählt und arrangiert, verweben sich die Skulpturen, Fotografien und Videoarbeiten zu einer Art Remake, bei dem ursprüngliche Bezüge aufgehoben und neue hergestellt werden. Durch die Auflösung dieser Verknüpfungen können die Kunstwerke nicht mehr über die Biografien der Künstler*innen gelesen werden und regen stattdessen eine Vielzahl anderer Verstehensweisen an.
Im Gegensatz zu den üblichen Hierarchien und Vorannahmen lädt I, the Artwork [Ich, das Kunstwerk] die Betrachtenden ein, sich auf einen spielerischen Denkprozess mit alternativen Deutungsmöglichkeiten und neuen Verbindungslinien einzulassen. Für Iman Issa ermöglicht dieser Prozess, „die Werke vor der Aneignung zu bewahren, indem die Aneignung sehr transparent gemacht wird“.
Iman Issa über ihre Arbeit
Beim Nachdenken über die Kunstwerke in der Solidarity Collection des MoCA Skopje, die ich gesehen habe, und bei der Reflexion darüber, was sie heute bedeuten könnten und in welchem Verhältnis sie zu meinen eigenen Anliegen und Kunstwerken stehen oder stehen könnten, kam mir eine Kombination von Worten in den Sinn, die ich in den zurückliegenden Monaten zu verstehen versucht habe. Dies geschah durch weitere Lektüren, das Schreiben von Texten und die Herstellung von Kunstwerken, vor allem aber durch die Planung der Konstellation von Elementen, die ich in der Kunsthalle Wien im Kontext dieser Ausstellung zeigen werde. Die Worte, die durch die Sammlung getriggert wurden, standen in der ersten Person und lauteten Ich, das Kunstwerk.
Es ist allgemein üblich, Kunstwerke als Opfer ihrer Umwelt anzusehen, die von obsessiven Künstler*innen, gewissenhaften Kurator*innen oder engagierten Institutionen, die ihnen den richtigen Kontext bieten können, gerettet werden müssen. Doch es gibt noch eine andere, wenn auch seltene Art Kunstwerk, dem man schon begegnet ist und das man kennt: ein Kunstwerk, das weder daran interessiert ist, als Opfer seines Kontexts angesehen zu werden, noch daran, den Absichten der Person zu entsprechen, die es gemacht hat.
Ein Kunstwerk, das sich nach Belieben zeigt oder verbirgt, wobei es das Datum und den Ort seiner Konzeption häufig ändert. Ein Kunstwerk, das, wenn es in die Geschichte verbannt wird, diese ganze Geschichte in Zweifel zieht, und das, wenn es der Identität, den Vorlieben oder Abneigungen seiner Hersteller*innen zugeschrieben wird, beschließt, sich anderen Hersteller*innen zuzuschreiben, die es vielleicht selbst erfunden hat oder die zu einer anderen Zeit gelebt haben, die besser zu seiner aktuellen Haltung passt. Ein Kunstwerk, das es vielleicht sogar auf sich nimmt, die Namen seiner Hersteller*innen zu behalten, aber ihre Identität umgestaltet und sie mit anderen Ansichten und Eigenschaften verknüpft, die ihm mehr entsprechen – ein Selbst, das in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort situiert ist, sich jedoch das Recht vorbehält, sich zusammen mit der Veränderung dieser Zeit und/oder dieses Orts zu verändern. Ein Kunstwerk, das sich einer Rechtsanwältin, einem Historiker, einer Handwerkerin oder irgendeiner anderen Person zuschreibt, obwohl es sehr wohl weiß, dass es einzig und allein von Künstler*innen gemacht wurde und gemacht werden kann. Ein Kunstwerk, das die Institution, in der es platziert wurde, umgestaltet: Mal entlastet es diese und stellt sich stolz hinter ihre Leitsätze, mal bringt es sie in allergrößte Verlegenheit, distanziert sich offen von ihr und macht es ihr unmöglich, ihre bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Ein Kunstwerk, das sich das Recht vorbehält, gelegentlich an aktuellen Debatten teilzunehmen, die Überlegungen von Kurator*innen zu bestätigen oder auch stumm zu bleiben, trotz aller Anstrengungen, es zum Sprechen zu bringen. Ein Kunstwerk, das, wenn es Kunstwerk genannt wird, diese Bezeichnung zugunsten von etwas anderem zurückweist und stattdessen darauf beharrt, als Dokument, Artefakt, Objekt, Film, Geschichte oder Nachrichtenmeldung bezeichnet zu werden. Ein Kunstwerk, das an jedem Standort existieren kann, sei es ein ethnografisches Museum, ein Stadtmuseum, ein Volkskundemuseum, ein Museum für moderne oder zeitgenössische Kunst oder etwas ganz anderes. Ein Kunstwerk, das jedes Aussehen, jeden Klang, jede Haptik, jede Materialität oder immaterielle Präsenz annehmen kann und das allein dadurch, dass es jede Bedingung seiner Präsentation, Deutung, Klassifizierung und Rezeption überstrahlt, sich selbst stolz und ohne zu zögern zum „Kunstwerk“ erklären kann. Eine Erklärung, die in den scharfsinnigen Hersteller*innen des Kunstwerks vielleicht das dringende Bedürfnis aufkommen lässt, sie für sich selbst zu übernehmen, wozu sie sich womöglich auch tatsächlich entschließen, vorsichtig die Bezeichnung Ich, das Kunstwerk aufgreifen und kurz innehalten, bevor sie ein*e Künstler*in wird (mich) irgendwann im Jahr 2023 ausstellen hinzufügen.
Gülsün Karamustafa
Gülsün Karamustafa (geboren 1946, lebt und arbeitet in Istanbul und Berlin) ist eine bildende Künstlerin und Filmemacherin, die in ihrem Werk persönliche und historische Narrative mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen verwebt. Sie gilt heute, mit ihrer bereits über fünf Jahrzehnte währenden Laufbahn, als eine der wichtigsten türkischen Künstler*innen der Gegenwart. In ihren Gemälden, Skulpturen und Filmen reflektiert sie häufig das politisch turbulente Umfeld ihrer Heimat Türkei, wie etwa in den Prison Paintings [Bilder aus dem Gefängnis] (1972–1978), einer Serie von Gemälden, die nach ihrer Inhaftierung als politische Gefangene entstanden, oder in The Monument and the Child [Das Denkmal und das Kind] (2010), einer Serie von Skulpturen, die die komplexe Bildsprache der modernen Türkei und ihrer Nationaldenkmäler erkunden. Dabei vereinen ihre Arbeiten vielfach Elemente historisch belegter Fakten mit persönlicher Erfahrung, etwa wenn sich kindliche Impressionen mit harter politischer Realität vermengen.
Unter dem Titel The Crime Scene [Tatort] werden Gülsün Karamustafas Gemälde Window [Fenster] (1980) sowie die skulpturale Installation The Monument and the Child [Das Denkmal und das Kind] (2010), bestehend aus zehn Sockeln mit verspielten Keramikobjekten, einer kleinen Sammlung von Werken aus dem MoCA Skopje gegenübergestellt. Jene zwei Skulpturen und neun Gemälde gelangten alle als private Schenkung der Familie von Radmila Ugrinova-Skalovska in die Sammlung des Museums. Die hauptsächlich von mazedonischen Künstler*innen stammenden Arbeiten spiegeln bis zu einem gewissen Grad die Ansichten und Ambitionen der Familie wider, die die Werke akribisch gesammelt hat. Es stellt sich daher die Frage, wie ein solcher Bestand in den größeren Kontext einer Museumssammlung eingeordnet werden kann und ob die Werke aus der Privatsammlung überhaupt herausgelöst werden sollten.
Diese Thematik wird auch in Gülsün Karamustafas Arbeiten deutlich, die – vor allem in Window [Fenster] – zu fragen scheinen, unter welchen spezifischen Bedingungen Solidarität möglich ist und wann nicht. Die Künstlerin antwortet, indem sie die Werke in ein imaginäres Familienzimmer stellt, komplett mit schmucker Tapete und einem Lehnstuhl. Die Werke aus der Sammlung von Radmila Ugrinova-Skalovska und die Skulpturen sowie Gemälde von Gülsün Karamustafa formieren sich zu einer gemeinsamen Erzählung – aber während sich jede Arbeit bald als Teil eines Ganzen erweist, muss sie auch einzeln wahrgenommen werden. Mit einer Methode, wie man sie aus alten Kriminalfilmen kennt, zeichnet Gülsün Karamustafa die Konturen der Kunstwerke mit Klebeband, ähnlich den weißen Kreidelinien, nach – sie umreißt also deren komplexe Vergangenheit, stellt aber zugleich auch einen Zusammenhang zwischen ihnen in der Gegenwart her. Auf diese Weise öffnet die Künstlerin die Werke und deren komplexen Bezüge zueinander einer tiefergehenden Auseinandersetzung.
Interview mit Gülsün Karamustafa
1. Welchen Eindruck hattest du von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandest du an der Sammlung interessant?
Ich glaube, was nach dem Erdbeben in Skopje 1963 passierte, ist einzigartig und sehr berührend. Die Menschen haben sich damals mehr um die Probleme der anderen gekümmert, und deshalb denke ich, dass es diese Art von Solidarität nie wieder geben wird. Um uns herum gehen die zerstörerischen Kriege immer weiter. Wir behaupten zwar, dass die Menschen in engem Kontakt sind, und wir wissen aufgrund der technologischen Möglichkeiten besser als je zuvor, was in der Welt geschieht, aber wir waren nie ignoranter gegenüber dem Leid anderer Menschen.
2. Wie schaffst du eine Beziehung zwischen den Werken, die du aus der Sammlung ausgewählt hast, und deiner eigenen künstlerischen Praxis?
Bei meiner Auswahl aus der Sammlung des MoCA Skopje geht es vor allem um Skulpturen und Gemälde nordmazedonischer Künstler*innen, die sich auf den Alltag beziehen. Deshalb wollte ich sie ergänzen mit einem Gemälde, das einen politischen Kontext hat, und mit einem heiteren skulpturalen Werk aus meiner eigenen Praxis. Ich möchte ein eigentümliches, aber interessantes Gespräch zwischen diesen Werken herstellen, die in der Zukunft vielleicht nie wieder zusammenkommen werden.
3. Wie siehst du die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkst du, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Die Beziehungen in der Kunstwelt beruhen heute leider eher auf Profit und Eigeninteressen. Natürlich versuchen einige Künstler*innen und Institutionen, diesen Konsens zu durchbrechen, indem sie mehr Möglichkeiten für kollektive Aktivitäten und Gemeinschaftsproduktionen schaffen und indem sie einen Austausch zwischen Künstler*innen und Institutionen herstellen. Doch die Macht des Kapitals findet immer wieder Wege, diese Solidarität zu untergraben.
Elfie Semotan
Elfie Semotans über sechs Jahrzehnte währende künstlerische Praxis setzt sich aus Stillleben, Landschaftsbildern, Modestrecken und konzeptuellen Arbeiten zusammen. Einer breiten Öffentlichkeit ist sie (geboren 1941, lebt und arbeitet in Wien und Jennersdorf) für ihre Werbe- und Modefotografie bekannt. Charakteristisch für ihre fotografische Herangehensweise, unabhängig vom Genre, ist eine Überhöhung alltäglicher Beobachtungen – seien es Models mit zerrissenen Strumpfhosen, auf einem texanischen Baum hängende Plastikblumen samt Gartenschlauch oder eine unaufgeräumte Schlafecke im Atelier eines berühmten Künstlers. Alle Motive zeugen von ihrer Faszination für das Unspektakuläre. Elfie Semotans Szenen wirken meist ungezwungen, im Vordergrund stehen bestimmte Stimmungen und Authentizität; sie brechen mit traditionellen Settings und schöpfen ebenso aus dem Alltagsleben wie aus der Kunstgeschichte.
Anlässlich der Ausstellung No Feeling is Final hat Elfie Semotan den einzigartigen Charakter der komplexen und vielschichtigen Stadt Skopje in einer neu in Auftrag gegebenen Fotoserie festgehalten. Die Künstlerin betrachtet die urbane Landschaft als eigenwilligen Pastiche, der durch die zahlreichen Re- und Dekonstruktionen der Stadt in Folge der massiven menschengemachten und natürlichen Katastrophen im Laufe der Geschichte entstanden ist. Elfie Semotan richtet ihren scharfen und gleichzeitig liebevollen Blick aber auch auf die Details, Materialien und Texturen des alltäglichen Lebens und enthüllt die Poesie, die Sinnlichkeit und den Charme, die in all der Unordnung und dem Chaos, die ebenfalls zu Skopje gehören, zu finden sind.
Ihre Bilder porträtieren die kulturelle Vielfalt Skopjes – vom osmanischen Alten Basar über den modernistischen Wiederaufbau der Stadt nach dem Erdbeben von 1963 bis hin zum kruden Versuch, Skopje im Zuge des Projekts Skopje 2014 als klassizistische Stadt wiederaufzubauen, die sie nie war. Besonderes Augenmerk gilt einer Reihe von ikonischen modernistischen Gebäuden wie jenes der Nationaloper und des Balletts, dem Bahnhof von Kenzō Tange, dem Museum der Republik Mazedonien von Mimoza Nesterova-Tomić, der ikonischen Schalterhalle des Telekommunikationszentrums (die 2013 einem ungeklärten Brand zum Opfer fiel) und natürlich dem MoCA Skopje.
Elfie Semotans einfühlsame fotografische Dokumentation ist eine ehrliche und authentische Darstellung der Stadt und ihrer komplexen politischen und architektonischen Vergangenheit, aber auch eine Hommage an die Schönheit und Vielfalt, die die städtebaulichen und kulturellen Kontexte der Stadt zu bieten haben, und nicht zuletzt an die außergewöhnliche Solidarity Collection des MoCA Skopje.
Interview mit Elfie Semotan
1. Welchen Eindruck hattest du von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandest du an der Sammlung interessant?
Die Geschichte von Skopje habe ich gelesen und die Stadt dann schon mit etwas wissenderem Blick und mit einer bestimmten Stimmung und Disposition angeschaut, das ist bei jeder Stadt wichtig. Bei Skopje finde ich es aber besonders zentral, weil es sonst schwierig wäre, eine Erklärung zu finden für die verschiedenen Erscheinungen des Stadtbildes. Ich war sehr neugierig auf Skopje und darauf, die Spuren der 1960er- und 1970er-Jahre-Architektur, der ganz alten Architektur wie der Stadtmauer und der späteren Neubauten zu sehen. Und eben auch die Verschleierungen und Retuschen. Das macht Skopje unglaublich spannend.
Die Liste an Schenkungen an das MoCA ist beeindruckend. Ich weiß, dass auch Picasso etwas geschickt hat. Und als ich das erste Mal im Museum war, sah ich ganz alleine herumhängend ein wunderbares Calder-Mobile mit roten Metallelementen. Fantastisch!
2. Wie schaffst du eine Beziehung zwischen den Werken, die du aus der Sammlung ausgewählt hast, und deiner eigenen künstlerischen Praxis?
Skopje ist wirklich eine Ausnahme. Städte sind normalerweise nicht so vielfältig. Gegensätze sind natürlich immer sehr spannend, Skopje hat viel davon zu bieten – so viel, das zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Gesinnungen entstanden ist und das sich dort gegenübersteht. Wir sind viele Stunden herumgegangen, doch Skopje ermüdet mich nicht, ich finde es manchmal grandios und manchmal richtig lustig. Es ist schön, es ist pittoresk, es ist absurd. Ein wunderbares Feld für eine Fotografin.
3. Wie siehst du die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkst du, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Ich glaube, trotz allem, was nicht solidarisch in der Kunstwelt ist, trotz aller Prestigesucht und Geldgier, gibt es eine Zugehörigkeit zur Kunstwelt und eine Art Solidarität zwischen denen, die Kunst lieben, machen und sich einfach in dieser Welt wohl fühlen.
Ich bin ein sehr positiver Mensch und ich kann mir vorstellen, dass so etwas wieder klappen kann. Gerade im Moment lernen wir ja nochmals die Lektion, dass man solidarisch sein sollte und man sich auch um den Rest der Welt kümmern muss.