Gülsün Karamustafa

Gülsün Karamustafa ist eine bildende Künstlerin und Filmemacherin, die in ihrem Werk persönliche und historische Narrative mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen verwebt. Sie gilt, mit ihrer bereits über fünf Jahrzehnte währenden Laufbahn, heute als eine der wichtigsten türkischen Künstlerinnen der Gegenwart. In ihren Gemälden, Skulpturen und Filmen reflektiert sie häufig das politisch turbulente Umfeld ihrer Heimat Türkei, wie etwa in den Prison Paintings [Bilder aus dem Gefängnis] (1972–1978), einer Serie von Gemälden, die nach ihrer Inhaftierung als politische Gefangene entstanden, oder in The Monument and Child [Das Denkmal und Kind] (2010), einer Serie von Skulpturen, die die komplexe Bildsprache der modernen Türkei und ihrer Nationaldenkmäler erkunden. Dabei vereinen ihre Arbeiten vielfach Elemente historisch belegter Fakten mit persönlicher Erfahrung, etwa wenn sich kindliche Impressionen mit harter politischer Realität vermengen.

Unter dem Titel Crime Scene [Tatort] werden Gülsün Karamustafas Gemälde Window [Fenster] (1980) sowie die skulpturale Installation The Monument and Child [Das Denkmal und Kind] (2010), bestehend aus zehn Sockeln mit verspielten Keramikobjekten einer kleinen Sammlung von Werken aus dem MoCA Skopje gegenübergestellt. Jene zwei Skulpturen und neun Gemälde gelangten alle als private Schenkung der Familie Skalovski in die Sammlung des Museums. Die hauptsächlich von mazedonischen Künstler*innen stammenden Arbeiten spiegeln bis zu einem gewissen Grad die Ansichten und Ambitionen der Familie wider, die die Werke akribisch gesammelt hat. Es stellt sich daher die Frage, wie ein solcher Bestand in den größeren Kontext einer Museumssammlung eingeordnet werden kann und ob die Werke aus der Privatsammlung überhaupt herausgelöst werden sollten.

Diese Thematik wird auch in Gülsün Karamustafas Arbeiten deutlich, die – vor allem in Window [Fenster] – zu fragen scheinen, unter welchen spezifischen Bedingungen Solidarität möglich ist und wann nicht. Die Künstlerin antwortet, indem sie die Werke in ein imaginäres Familienzimmer stellt, komplett mit schmucker Tapete und einem Lehnstuhl. Die Werke aus der Skalovski-Sammlung und die Skulpturen sowie Gemälde von Gülsün Karamustafa formieren sich zu einer gemeinsamen Erzählung, aber während sich jede Arbeit bald als Teil eines Ganzen erweist, muss sie auch einzeln wahrgenommen werden. Mit einer Methode, wie man sie aus alten Kriminalfilmen kennt, zeichnet Gülsün Karamustafa die Konturen der Kunstwerke mit Klebeband, ähnlich den weißen Kreidelinien, nach – sie umreißt also deren komplexe Vergangenheit, stellt aber zugleich auch einen Zusammenhang zwischen ihnen in der Gegenwart her. Auf diese Weise öffnet die Künstlerin die Werke und deren komplexe Bezüge zueinander einer tiefergehenden Auseinandersetzung.