Yane Calovski & Hristina Ivanoska
Neben ihren Einzelprojekten arbeiten die Künstler*innen Yane Calovski (geboren 1973, lebt und arbeitet in Skopje und Berlin) und Hristina Ivanoska (geboren 1974, lebt und arbeitet in Skopje und Berlin) seit 2000 auch als Duo zusammen. Ihre gemeinsamen Arbeiten zeichnen sich durch den dynamischen Einsatz verschiedener Medien aus – von Performance, Installation, Text und Theorie bis hin zu Zeichnung, Skulptur und Wandgravur. In ihrer Praxis streben sie danach, übersehene Aspekte der Geschichte zu beleuchten, sei es durch das Ergründen vergangener Ereignisse oder durch das Nachstellen imaginärer Geschichte in der Gegenwart. Stets spielt das lokale Umfeld der Künstler*innen eine wichtige Rolle – auch im Versuch, ihren eigenen Arbeitsraum in einen neuen Kontext zu stellen und alternative Interpretationen und parallele Lesarten etablierter Glaubensvorstellungen anzuregen. Die eher als Fragen denn als Antworten strukturierten Projekte ermöglichen es den Betrachtenden, die Bedeutungen der Werke selbst mitzugestalten.
In ihrer Rauminstallation mit dem Titel All Things Flowing [Alle Dinge fließen] schlagen die Künstler*innen eine andere Sichtweise auf die Geschichte des MoCA Skopje vor. Im Jahr 1966 wurden 89 Architekturentwürfe für den Bau des neuen Museums eingereicht. Unter ihnen stach ein Projekt besonders hervor – jenes des polnischen Architekten Oskar Hansen, der für seine Theorie der „Offenen Form“ bekannt war.
Der Architekt konzipierte einen wandelbaren Ausstellungsraum, der vollständig zusammenfaltbar war und sich in verschiedenen Kombinationen entfalten konnte – mit sechseckigen Elementen, die von hydraulisch betriebenen, rotierenden Teleskopen angehoben werden. Oskar Hansen stellte sich vor, dass die ansonsten unterirdisch verborgene Galerie bei jeder Eröffnung einer neuen Ausstellung in die Höhe emporsteigen und sich dabei auffalten würde.
Dieser ehrgeizige Vorschlag bildete die Vorlage für die motorisierte skulpturale Installation von Yane Calovski und das großformatige Wandbild von Hristina Ivanoska, das aus einer eigens entworfenen Typografie besteht. Die Buchstaben beziehen sich auf die „Offene Form“ und stehen im Dialog mit den Werken zweier mazedonischer Künstler*innen aus der Sammlung des MoCA Skopje: dem Maler Dushan Perchinkov und der Bildhauerin Aneta Svetieva.
Die beiden ausgewählten Künstler*innen scheinen auf den ersten Blick nicht recht zusammenzupassen. Doch beide bringen in ihren Arbeiten auf treffende Weise die Koexistenz lokaler künstlerischer Praktiken von den Anfängen des Museums bis heute auf den Punkt: Während sich Dushan Perchinkovs Bilder auf eine früh-modernistische Tradition abstrakter geometrischer Muster berufen, die außerhalb des westlichen Kanons der modernen Kunst stehen, vermitteln Aneta Svetievas roh belassene und ausdrucksstarke Terrakotta-Skulpturen ein fast anthropologisches Verständnis der Geschichte Skopjes.
Die Elemente der Installation rekonstruieren in ihrer Gesamtheit eine Landschaft, die immer wieder aufs Neue zerstört und wiedergeboren wurde. Durch die Kombination von Oskar Hansens Vision des Museums mit den beiden mazedonischen Künstler*innen aus der Sammlung entwerfen Yane Calovski und Hristina Ivanoska ein neues Narrativ der lokalen Kunstgeschichte – eines, das sowohl einen anderen Blick auf die Geschichte des Museums erlaubt als auch eine Gegenwart voller Potenziale in den Raum stellt.
Interview mit Yane Calovski & Hristina Ivanoska
1. Welchen Eindruck hattet ihr von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandet ihr an der Sammlung interessant?
Hristina Ivanoska: Skopje wurde auf tektonischen Platten errichtet und ist nie stabil, beständig oder friedlich. Die Mischung der Kulturen, Geschichten und Diskurse, die andauernd mit sich und untereinander rivalisieren, ist auf ihrer Oberfläche sichtbar und erzeugt ständige Spannungen. Als ich an der Fakultät für bildende Kunst an der Universität St. Kyrill und Method in Skopje studierte, hatte die Sammlung des Museums keinen großen Einfluss auf die Anfänge meiner künstlerischen Entwicklung. Damals war das MoCA Skopje noch von einer elitären Aura umgeben; man musste es „verdienen“, Zugang zu diesem Raum zu bekommen. Heute erlebe ich das Museum als einen demokratischeren Raum. Ich hatte zum ersten Mal Gelegenheit, mich mit der Sammlung zu beschäftigen, und die Möglichkeit, das Depot des Museums zu besichtigen und die Werke aus der Nähe mit einer anderen Unmittelbarkeit und Intimität zu erleben.
Yane Calovski: Für mich stellt die Stadt Skopje ein sich stetig wandelndes Gebilde dar, das von den Machthabenden oft für politische und wirtschaftliche Zwecke missbraucht und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bürger*innen falsch diagnostiziert wird. Trotzdem ist Skopje resilient, entwickelt sich ständig weiter und überdenkt sein Potenzial immer wieder auf überraschende Weise. Für mich war die Sammlung des MoCA Skopje immer ein aktiver, forschender Organismus, der seit seiner Gründung nach dem verheerenden Erdbeben 1963 auf beunruhigende Weise wuchs und sich entwickelte.
2. Wie schafft ihr eine Beziehung zwischen den Werken, die ihr aus der Sammlung ausgewählt habt, und eurer eigenen künstlerischen Praxis?
Yane Calovski: Wir haben aus der umfangreichen Sammlung Arbeiten von zwei noch aktiven nordmazedonischen Künstler*innen, Aneta Svetieva und Dushan Perchinkov, ausgesucht. Beide beschäftigen sich damit, die wesentliche, persönliche Bedeutung von Tradition und Moderne wiederzuentdecken. Üblicherweise untersuche ich in meinen skulpturalen Arbeiten die diskursiven Spuren von Konzepten, indem ich mit rhizomatischen Überlagerungen spiele und Überreste aufgreife, in denen sich flüchtige Gedanken zu konkreten Themen materialisieren. Während der Recherchephase am MoCA Skopje haben wir die vorliegenden Publikationen, Ausstellungskataloge, Videointerviews und schriftliche Interviews sowie Rezensionen gelesen und analysiert.
Hristina Ivanoska: Ich fand Svetievas und Perchinkovs Kunstwerke immer erstaunlich, aber ich hatte den Eindruck, dass sie in ihrem lokalen Kontext „gefangen“ blieben. Dieses Projekt bietet eine Gelegenheit, ihre Werke aus dem Depot zu holen, sie zu kontextualisieren und mit verschiedenen Publikumsgruppen zu teilen. Beide sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich – Perchinkov ist streng geometrisch und seine Herangehensweise ist analytisch, Svetieva ist impulsiv, schnell und ungeschliffen –, aber beide verbindet eine poetische Zärtlichkeit gegenüber der Landschaft, in der sie aufgewachsen sind und in der eine ursprüngliche Kultur und die Zivilisation in einer Symbiose von Widersprüchen koexistieren. Diese Dualität von Gegensätzen ist etwas, das ich auch in meinem eigenen
Werk sehe.
3. Wie seht ihr die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkt ihr, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?
Hristina Ivanoska: In den 1960er-Jahren, als der Aufruf gestartet wurde, eine auf Solidarität beruhende Sammlung aufzubauen, nahmen die Spannungen zwischen den beiden Blöcken ab. Damals wurde es möglich, sich eine Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen vorzustellen. Heute sind Institutionen allerdings wählerisch und vorsichtig und stehen unter einem enormen Druck; ich halte die Sammlung daher immer noch für eine kollektive Errungenschaft, die bis heute nachwirkt.
Yane Calovski: Das Konzept der Solidarität ist politisch und progressiv. Es wurde allerdings oft kommerzialisiert und benutzt, um die realen Probleme zu verschleiern, denen die heutige, westlich orientierte Kunstwelt gegenübersteht. Was die Repräsentation, die Verteilung von Wohlstand und die Manifestation von Wissen angeht, gab es immer schon ein erhebliches Machtgefälle, und das wird auch so bleiben. Es lässt sich behaupten, dass die Sammlung in dieser besonderen Phase des verstärkten soziokulturellen, politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Stadt nach dem Erdbeben ein bedeutendes Instrument dieses „Wiederaufbaus“ war und immer noch ist. Sie hat in dieser Hinsicht eine historische und kulturelle Bedeutung – sie ist ein historisches Erbe, das politisch wirksam wird, wenn es als Ausdruck seiner Zeit betrachtet wird. Heute können wir eine solche Welle der Solidarität in Form von Schenkungen realer Kunstwerke nicht mehr erwarten; aber für uns als Künstler*innen ist es trotzdem unglaublich zu sehen, welche gesellschaftliche Bedeutung es hat, einen Beitrag zu leisten, Kunst zu schenken und zu archivieren und unsere Praktiken mithilfe der Mechanismen institutioneller Sammlungen zu teilen. Das Museum für Zeitgenössische Kunst in Skopje ist für dieses kameradschaftliche Denken immer noch eine Inspiration.