Tropicália entstand aus dem Geist jenes Anthropophagischen Manifests, das der Modernist Oswald de Andrade in den 20er-Jahren geschrieben hatte: Darin ging es um das Verschlingen fremder Kulturen, um die kritische Appropriation von Kunst-, Musik und Modeströmungen aus der Ersten Welt. ?Der Mythos des Tropikalismus ist viel mehr als Papageien und Bananenbäume? heißt es in einem der zahlreichen thesenhaften Texte Hélio Oiticicas. Ohne explizit politisch zu sein, richten sich die vitale Energie, die Lust am schrillen Spektakel und die Öffnung des kulturellen Handlungsfeldes für die Bewohner prekärer Lebenswelten vor allem gegen die bleierne Zeit des brasilianischen Militärregimes, das mit einem Coup im Jahr 1964 den relativ demokratischen Verhältnissen ein Ende gemacht hatte. Die Künstler, Musiker, Filmer, Theatermacher und Dichter, die sich mit der Idee identifizierten, wollten keine simplen ideologischen Lösungen anbieten, sondern die offizielle Version der brasilianischen Kultur unterminieren, die eine Einheit in der Vielfalt behauptete, die so nie existiert hatte.
Die Ausstellung präsentiert mit Schlüsselwerken wie Tropicália von Hélio Oiticia sowie wichtigen Werkgruppen von Nelson Leirner, Rubens Gerchman, Anna Maria Maiolino und Lygia Pape einen historischen Querschnitt durch die künstlerische Vielfalt des kurzen Sommers der künstlerischen Anarchie. Weiters wird gezeigt, wie der kreative Impuls, der von Tropicália ausging, in Arbeiten zeitgenössischer (exil)brasilianischer Künstler wie Ernesto Neto oder Rivane Neuenschwander und Cao Guimarães bis zum heutigen Tag weiterwirkt.
Kurator: Thomas Mießgang
Kunstvermittlung:
Isabella Drozda, Katharina Braun
Tel. +43-1-52189-1255,