Angst gilt in einer modernen Leistungsgesellschaft weniger als Affekt denn als Defekt, der zu therapieren sei. Angst vor der Angst wäre insofern ein Symptom der Gegenwart. Andererseits dominiert eine medial aufbereitete, durch eine Nähe aus Distanz genießbar gemachte Angst gegenwärtige Lebens- und Arbeitswelten und gibt Anlass zu unterschiedlich motivierten Abwehr- und Kompensationsstrategien. So erscheint es sinnvoll, einige der Schauplätze der Begegnung mit einem unangenehmen Gefühl genauer zu beleuchten und deren analytisches Potenzial zu erproben. Zum Abschluss der Ausstellung Salon der Angst in der Kunsthalle Wien widmet sich die Konferenz jenen Formen der Produktivität, die aus einer gesellschaftlichen Unbehaglichkeit hervorgehen können. Perspektiven aus Psychoanalyse, Kulturgeschichte, Medientheorie und Philosophie verdichten sich dabei zu einer Annäherung an eine existenzielle Herausforderung unserer Gegenwart.
14.00 Uhr
Begrüßung: Andrea Hubin und Vanessa Joan Müller
14.15 Uhr
Stay tuned! Affektive Bondings
Marie-Luise Angerer, Professorin für Medien- und Kulturwissenschaften an der Kunsthochschule für Medien Köln
Affektive Verwicklungen und Verstrickungen werden heute – anders als zur Hochzeit der Psychoanalyse – als Potenzialität begriffen. Affekte stehen für spontane, unbewusste Aktionen und Reaktionen, mit deren Hilfe Körper und Umwelt kommunizieren. Je nach Stärke der Signale pendelt die Stimmung der Körper dabei entweder in ein Hoch oder ein Tief, also entweder Freude oder Angst. D. h. die minimale Dauer des Affekts ist eine Zeit der Unbestimmtheit, deren Ausgang offen ist. Politik, Ökonomie und Gehirnforschung haben dies längst verstanden und operieren mit dem „Intervall des Affekts“. Doch insbesondere die Kunst hat eine Ahnung von dieser „Zeit des Affekts“, die die Körper bestimmt, beherrscht – und immer wieder loslässt. Von diesem Pendeln der Körper zwischen unbestimmt & festgelegt wird die Rede sein.
15.00 Uhr
Kunst der Angst
Marc Ries, Professor für Soziologie und Theorie der Medien an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main
Mit Kierkegaard und gewendet auf die Gegenwart werde ich Angst im Zusammenhang mit – mittlerweileselbstverschuldeter(?) – Unschuld als das „ungeheure Nichts der Unwissenheit“ begreifen, als Angst, die der verträumte, von den Systemen im Absichtslosen, Ahnungslosen, Unbestimmten eingeschlossene Geist „vor sich selbst“ hat, Selbstangst also, die mit der auferlegten permanenten Selbsthematisierung und Selbstausstellung Hand in Hand geht. Und, wiederum mit Kierkegaard, vorschlagen, das „rätselhafte Wort“, das Gegenwartskunst heute an vielen Orten vernehmen lässt, als „Ereignis der Unbestimmtheit“ (Rebentisch) wahrzunehmen, mit der unsere Urteilskategorien ins Straucheln, Stammeln und Zweifeln verfallen. Mit diesem Ereignis eröffnet sich zugleich ein „Wissen um die Freiheit“, nämlich die „ängstigende Möglichkeit zu können“, zu wählen und zu handeln, „produktives Unbehagen“ eben.
Kaffeepause
16.15 Uhr
„De l’angoisse et de l’abjection : pouvoirs et limites de la sublimation“ (le cas de Louis-Ferdinand Céline)
Julia Kristeva, Philosophin, Psychoanalytikerin und Soziologin, Paris
In Mächte des Grauens. Versuch über den Abscheu hat Julia Kristeva, ausgehend von Freuds gesellschaftstheoretischen Überlegungen, die Schriften von Louis-Ferdinand Céline und die Logik seines Antisemitismus untersucht und darüber die Barbarei als einen der Gesellschaft immanenten Aspekt markiert. Das Destruktive als Aspekt menschlicher Subjektivität muss anerkannt werden, ansonsten wird seine Quelle nach außen projiziert, wird es zum Fremden, das als Fremdes und im Fremden gehasst und verfolgt wird. Der für die Veranstaltung entstandene Videobeitrag von Kristeva aktualisiert diese Überlegungen.
16.45 Uhr
Schwein und Zeit: Tiergeister des Fordismus
Fahim Amir, Philosoph, Künstler, Kunstuniversität Linz
Ausgehend von einer Re-Lektüre von Sigfried Giedions Herrschaft der Mechanisierung (1948) als einem Dokument künstlerischer Forschung in Zeiten des Krieges, wird der Produktivität eines Unbehagens nachgegangen, wie sie sich auch bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung (1947) wiederfindet: dem Ekel vor Techniken und Mechanismen moderner Tierhaltung. Doch während die besondere philosophische Ausrichtung von Adorno und Horkheimers Denken konzeptuell nur völlig verdinglichte Opfer erzeugt, ermöglicht Giedions technisch-künstlerische Analyse, die Geschichte der Tiere als eine Geschichte von Kämpfen zu denken.
Pause
18.30 Uhr
Angstlektüre oder „Hobbes“ und die Libidokratie
Gabriel Ramin Schor, Philosoph und Historiker der Kunst, Wien
Als im vergangenen Jahr durch die Enthüllungen des Edward Snowden erstmals bekannt wurde, dass es groß angelegte US-amerikanische und britische Abhör- und Überwachungsprogramme gibt, die nicht einmal vor der Privatsphäre der eigenen europäischen Bündnispartner Halt machen, waren die Reaktionen der kontinentaleuropäischen Öffentlichkeit überaus aufschlußreich. So gelangte beispielsweise George Orwells Roman Nineteen Eighty-Four plötzlich auf den ersten Platz unter den Bestsellern des Internet-Shops Amazon und hielt sich dort auch einige Wochen. Dass es dabei das definitiv „falsche“ Buch gewesen ist, das man angesichts dieser Situation der Angst, des Unbehagens und der allgemeinen Ratlosigkeit konsultierte, verlieh weniger Orwells Klassiker eine aktuelle politische Nuance als dass es vielmehr etwas zum Vorschein brachte, was Gilles Deleuze einmal mit Blick auf das filmische Werk von Orson Welles die „Mächte des Falschen“ genannt hat. Ausgehend von diesem Konsum-Akt, in dem sich dieses Falsche in seiner Symptomatik und affektiven Logik erschreckend aktualisiert hat, wird nach dem heutigen Verhältnis zwischen Lust und Schrecken im medialen Übertragungsraum gefragt.
19.15 Uhr
Was kann Philosophie?
Marcus Steinweg, Philosoph, Berlin
Philosophie ist Infragestellung sämtlicher Realitäten, die das menschliche Subjekt konstituieren. Es gibt kein Subjekt, das nicht Produkt der Welt wäre, der es angehört. Zum philosophischen Denken gehört die Konfrontation und Analyse der kulturellen, historischen, politischen und ökonomischen Realität. Zugleich artikuliert es ein elementares Unbehagen mit den etablierten Wirklichkeiten. Es kann sich ihnen nur um den Preis des Verlusts seiner Freiheit assimilieren. Daher gehört zur Philosophie Widerstand gegenüber dem, was ist.
Eintritt frei!
Wir bitten um Anmeldung unter:
office@kunsthallewien.at
oder +43 1 521 89 – 0