Konzipiert von Kader Attia und Ana Teixeira Pinto
Organisiert von Kunsthalle Wien und Burgtheater
In seinem 1950 veröffentlichten berühmten Essay Über den Kolonialismus vertrat der Schriftsteller Aimé Césaire die These, dass der in Europa sogenannte ‚Faschismus‘ nichts als die Rückkehr kolonialer Gewalt an den Ort ihres Ursprungs sei. Doch seine Warnungen verhallten ungehört. Die ebenfalls 1950 erschienene Studie The Authoritarian Personality von Theodor Adorno et al. wurde breiter rezipiert. Darin entwickelten die Autor*innen die F-Skala (F für Faschismus), um die psychologische Anfälligkeit der Bürger*innen demokratischer Staaten für den Faschismus abzuschätzen. So bildete sich in den Nachkriegsjahren ein Konsens heraus, nach dem Faschismus ein Persönlichkeitsmerkmal, eine Entartung individualistisch-freiheitlicher Subjektivität sei. Diese auch heute noch vorherrschende Neigung, den Faschismus zu psychologisieren, verdrängt seine koloniale Dimension, verschleiert die Zusammenhänge zwischen Faschismus und imperialer Biopolitik und entpolitisiert letztlich beide.
75 Jahre später gibt der Westen sich Fantasien von einer umgekehrten kolonialen Eroberung und der Unterwerfung der Weißen hin, treibt aber zugleich den Prozess der Rekolonisierung erneut und mit wachsender Grausamkeit voran. Die von der Gier nach Lithium, einem Element, dass verbreitet in Mobilgeräten oder Elektrofahrzeugen zum Einsatz kommt, angetriebenen jüngsten Ereignisse in Bolivien verdeutlichen die strukturelle Funktion von Rasse in der Geopolitik und die Rolle der digitalen Ökonomie in der Herstellung und Verfestigung einer neuen Siedlergesellschaft.
Die These von The White West III: Automating Apartheid ist, dass ohne den Willen, sich der Rolle von Rasse in der Produktion und Reproduktion globaler materieller Ungleichheit zu stellen, die Frage nach dem guten Leben nur in verzerrter Form gestellt werden kann: Sie maskiert sich als Wohlfahrtschauvinismus oder als der Cargokult der Technologiebranche, die eine Zukunft wie von Zauberhand produzierter Güter im Überfluss verspricht – schwache Utopien, deren strukturelle Widersprüche einen doppelsinnigen Raum eröffnen, in dem einer Kritik oder Störung des Kapitalismus faschistoide Züge verliehen werden können.
The White West III: Automating Apartheid ist die dritte in einer Serie von Konferenzen, die Kader Attia, Ana Teixeira Pinto und Giovanna Zapperi im La Colonie in Paris ins Leben gerufen haben. Sie erörtert theoretische Zugriffe auf verschiedene Facetten dessen, was Nikhil Pal Singh das ‚Nachleben des Faschismus‘ genannt hat (Gefängnisstaat, Ethnonationalismen, imperiale Kriege), sowie auf die die bisher unzureichend analysierte Verbindung zwischen Siedlerkolonialismus einerseits und Faschismus und Nationalsozialismus andererseits.
Programm
Do 13/2 • 15–21 Uhr
The Structuring Force of Race in Geopolitics
15 Uhr: Begrüßung und Vorstellung durch WHW, anschließend Einführung zu The White West durch Kader Attia und Ana Teixeira Pinto
15:30 Uhr: The Measure of (Re)barbarization
Florian Cramer – The Meme of the „Political Compass“
Radhika Desai – Imperialism, Fascism and the Geopolical Economy of the 21st Century Capitalism
Rose-Anne Gush –The Fantasy of Misogyny as World Structure
Dorcy Rugamba – All Crimes against Humanity are Interrelated
17 Uhr: Diskussion, anschließend Q&A
17:40 Uhr: Pause
18 Uhr: Necropolitics and Racialized Science
Kader Attia – Restoring the Irreparable
Ciraj Rassool – Human Remains Restitution and the Politics of Undoing Race in the Museum
Marina Gržinić – How to blow the world of racial global necrocapitalism and provoke rebellion, power, thoughts
20:15 Uhr: Diskussion, anschließend Q&A
Fr 14/2 • 15–21 Uhr
Boundary Disputes
15 Uhr: Whither the Frontier?
Felix Stalder – Digital Colonialism
Nitzan Lebovic – Biometrics and “Universal Suspicion”
Kalpana Seshadri – Is the Post in Posthumanism the Post in Post-Racialism?
Ana Teixeira Pinto – Capitalism with a Transhuman Face
17:20 Uhr: Diskussion, anschließend Q&A
18 Uhr: Pause
18:20 Uhr: Whither Whiteness?
David Golumbia – Blockchain – The White Man’s Burden
Olivier Marboeuf – White Skin, Black Mask: Appropriation of Identity Politics
Zakiyyah Iman Jackson – Insect Poetics and the Biopolitics of Reproduction in Simone Leigh’s Trophallaxis
20:15 Uhr: Diskussion, anschließend Q&A
Die Konferenz gehört zu einer Reihe von Veranstaltungen, die von den neuen Leitungsteams des Burgtheaters und der Kunsthalle Wien gemeinsam organisiert werden. Drei diskursive Formate finden im Rahmen des Projekts EUROPAMASCHINE im Kasino (Februar–März 2020) im Vorfeld der Ausstellung … von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden statt, welche am 8. März 2020 in der Kunsthalle Wien eröffnet.
Eintritt frei!